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Prof. Mathias Goyen, Chief Medical Officer EMEA, und Simon Philips Rost, Chief Marketing Officer, Enterprise Imaging und AI Portfolio bei GE Healthcare, trafen sich mit Guido Gebhardt, um über die Zukunft der Radiologie zu sprechen.

Lieber Professor Goyen, lieber Herr Rost, wo geht es mit den Praxis- beziehungsweise Kliniknetzwerken hin? Hat die Einzelpraxis überhaupt noch eine Chance beziehungsweise wie wird sich die Radiologie weiter entwickeln?

ROST: In der Nische hat eine Einzelpraxis sicherlich immer noch ihre Berechtigung. Der Trend zeigt jedoch eindeutig in Richtung Praxisverbund.

Meines Erachtens gibt es vier Beweggründe, weshalb immer mehr und immer größere Radiologienetzwerke entstehen. Bei der Bildung großer Netzwerke geht es in erster Linie um die wirtschaftliche Notwendigkeit. Ein Zusammenschluss verfügt über eine größere Einkaufskraft, das bedeutet man kann Kosten teilen und Prozesse standardisieren, so dass es zu Effizienzsteigerungen kommt.

Zum zweiten erleichtert eine Bündelung von Ressourcen, Änderungen von Rahmenbedingungen zu adressieren.

Ein weiterer Grund, der für Verbünde spricht, betrifft die Technologie. In großen Strukturen ist es einfacher, neue Verfahren auszuprobieren und anschließend mit hoher Geschwindigkeit im gesamten Netz auszurollen. Auch das führt zu niedrigeren Gesamtkosten.

Und viertens: Aufgrund zunehmender chronischer Erkrankungen ist es für Diagnostikzentren heutzutage notwendig, ein weites Untersuchungsspektrum abzudecken.

PROF. GOYEN: Herr Rost hat die Spezialisierung schon angesprochen. Kleinere Strukturen haben dann ihre Berechtigung, wenn eine kritische Masse an Untersuchungen überschritten wird. Da fällt mir spontan die MSK-Bildgebung ein, die Neurologie oder die Mammadiagnostik.

Heißt das, kleinere Einheiten mit spezifischer Ausrichtung haben durchaus weiterhin Chancen?

PROF. GOYEN: Sehen Sie sich beispielsweise das Forum Wolfgarten in Bonn an: Da befinden sich Radiologen zusammen mit Gynäkologen und Onkologen unter einem Dach und es geht um die Diagnostik und Therapie des Mammakarzinoms. Mit Zusatzangeboten eine Zielgruppe in einem bestimmten Marktsegment anzusprechen, kann Vorteile mit sich bringen. Profitabilität in der Nische ist durchaus möglich.

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Prof. Mathias Goyen, Chief Medical Officer EMEA bei GE Healthcare

ROST: Spezialisierung ist das eine. Aber Praxen finanzieren sich über Skaleneffekte. Wenn Prozesse zusammengelegt werden, kann man die Organisation verschlanken und effizienter gestalten. Das ist momentan vielerorts der Fall und es werden immer größere Netzwerke und Verbünde gebildet. Dieser Vorgang wird eventuell auch dadurch beschleunigt, weil Investmentgesellschaften bereit sind, ihr Geld im Gesundheitswesen anzulegen. Wir beobachten diese Entwicklung ebenfalls mit einem kritischen Auge, denn die deutschen Strukturen, insbesondere das Abrechnungswesen, sind nicht unbedingt mit denen in USA zu vergleichen. Eine Trendumkehr sollte man keinesfalls ausschließen. 

Haben sich eventuell auch die Ansprüche der Radiologinnen und Radiologen über die letzten Jahre verändert?

PROF. GOYEN: Davon bin ich überzeugt und das nicht nur in der Radiologie. Die sich ständig ändernde Erwartungshaltung an den Beruf und das Leben führt uns doch allen die Generation Z vor Augen. Wie mir ein befreundeter Ordinarius erst kürzlich berichtete, haben sich die Vorzeichen bei Bewerbungsgesprächen annähernd umgekehrt. Heute beendet der Bewerber das Vorstellungsgespräch mit den Worten: Ich melde mich bei Ihnen, falls ich die Stelle gerne haben würde. Radiologinnen und Radiologen sind inzwischen eine knappe Ressource. Die Work-Life-Balance hat einen genauso hohen Stellenwert wie gute Aufstiegschancen.

Während einst die Laufbahn gesetzt war „erst Oberarzt in einer Uniklinik und danach der Einstieg in eine private radiologische Praxis“, ist heute fast niemand mehr bereit, einen siebenstelligen Kredit aufzunehmen, um in einer Niederlassung tätig zu sein. Als Angestellter in einem großen Verbund gibt es keine Dienste, das Wochenende und nachts ist immer frei. Dieser Trend, unterstützt ebenfalls die Attraktivität großer Verbünde. 

Welche Rolle spielt heutzutage die Technologie?

PROF. GOYEN: Die Schlagworte in der Radiologie lauten derzeit Standardisierung und Automatisierung. Beides spielt in großen Netzwerken eine besondere Rolle, denn zahlreiche Herausforderungen lassen sich sehr gut mit dem Einsatz von moderner Technologie lösen. Fehleranfällige, immer wiederkehrende, Arbeitsabläufe werden zukünftig KI-Algorithmen übernehmen, das steht für mich außer Frage.

Außerdem sehen wir, dass die Teleradiologie oder Remote-Scanning, also das Fernbedienen von Modalitäten durch MTRs immer häufiger nachgefragt wird. Weder der Radiologe noch die MTR muss mehr direkt vor Ort sein.

Außerdem würde ich gerne noch auf die Qualität der Produkte eingehen, denn hochwertige Produkte werden zusehends als Marketinginstrument eingesetzt, um Selbstzahler anzuziehen. Ein Bereich, der für Radiologen immer wichtiger wird. Nicht zu vergessen das Technologiemanagement: Ein doppelt so großer Gerätepark verursacht keinesfalls doppelte Instandhaltungskosten.

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Simon Philips Rost, Chief Marketing Officer, Enterprise Imaging und AI Portfolio bei GE Healthcare

ROST: Dem kann ich nur zustimmen. Wenn Patienten am Standort A gescannt werden, der Befund aber innerhalb des Netzwerkes am Standort B erstellt wird, weil einfach dort 

derzeit die Kapazitäten vorhanden sind, beziehungsweise das Fachwissen, kommt es meines Erachtens auf eine intelligente Workflow-Optimierung an. Leider bringt man mit Künstlicher Intelligenz derzeit meist die automatisierte Bildanalyse in Verbindung und denkt kaum daran, dass in der Prozessoptimierung genau soviel Potenzial steckt.

Ich bin ebenfalls fest davon überzeugt, dass der Stellenwert der Technologie und insbesondere der KI in der Radiologie – unabhängig von ihrer Größe – eine immer wichtigere Rolle spielen wird. Aber wie gesagt: Ich würde mich vorrangig um den Workflow kümmern und erst danach um die automatisierte Befunderkennung. 

Weshalb kommt noch so wenig KI zum Einsatz, wenn die Lösungen doch über so ein vielversprechendes Potenzial verfügen?

ROST: Für den Einsatz von KI muss das Angebot drei wesentliche Vorteile abbilden: Erstens muss eine gewisse Anzahl an Applikationen beziehungsweise Algorithmen vorhanden sein, die meinen Anforderungen entspricht. Zum zweiten geht es um die tiefe Integration in den Arbeitslauf. Es muss eine digitale und interoperable Plattform vorhanden sein, über die man ohne viel Umstände seiner Lösung weitere zertifizierte Applikationen hinzufügen kann.

Der dritte wichtige Punkt lautet meiner Meinung nach Herstellerneutralität. Der Markt bildet zum Glück beide Alternativen ab: sowohl Best-of-Breed als auch monolithische Ansätze. 

Sie sagen also: In Zukunft kommt es auf den Workflow an?

PROF. GOYEN: So ist es. Ein Kunde hatte uns beispielsweise um Unterstützung gebeten, da es bei ihm in der MRT zu sehr langen Wartezeiten kam. Danach haben wir gemeinsam die Prozesse analysiert und neu strukturiert. Außerdem ist es uns gelungen, zahlreiche Untersuchungssequenzen zu optimieren, ohne die Bildqualität zu beeinträchtigen. Dadurch konnten wir die Wartezeit deutlich zu verkürzen. 

Lediglich mithilfe der Optimierung von Sequenzen und des Scheduling, also der Zuteilung von Untersuchungszeiten, können auf einmal mehr Patienten untersucht werden. Das Resultat waren nicht nur zufriedenere Patienten und Zuweiser, sondern auch ein nicht unerheblicher finanzieller Vorteil.

ROST: Noch sind tief integrierte KI-Lösungen eher die Seltenheit. Aber wir rechnen fest damit, dass standardisierte und automatisierte Abläufe einen deutlichen Effizienzsprung mit sich bringen. Wenn die Workflow-Optimierung mit den KI-Algorithmen und einer automatisierten Befunderstellung nahtlos integriert Hand in Hand gehen, kann man viel Potenzial erschließen.

PROF. GOYEN: Nahtlos integrierte KI zeichnet sich dadurch aus, dass der Radiologe nicht mal merkt, dass KI am Werk ist. Erst wenn sich die Magie im Hintergrund entfaltet, haben wir alles richtig gemacht. So sieht meiner Meinung nach die Radiologie der Zukunft aus. 

www.gehealthcare.de/